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Chinarindenversuch

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Das [[Artikel:Ähnlichkeitsprinzip|Ähnlichkeitsprinzip]] besagt also, dass eine Arznei, die eine Krankheit zu heilen imstande ist, beim Gesunden Symptome verursacht, die denen der betreffenden Krankheit „ähnlich“ sind, ohne aber die Krankheit selbst auszulösen. Hahnemann formulierte im Organon:<ref>Samuel Hahnemann: „Organon der Heilkunst“, 6. Auflage, Einleitung (''[http://homeoint.org/books4/organon/einleitung.htm Link]'', abgerufen am 18.07.2019)</ref><blockquote>Durch Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung fand ich, daß im Gegentheile von der alten Allöopathie die wahre, richtige, beste Heilung zu finden sei in dem Satze: Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll!</blockquote>
 
Das [[Artikel:Ähnlichkeitsprinzip|Ähnlichkeitsprinzip]] besagt also, dass eine Arznei, die eine Krankheit zu heilen imstande ist, beim Gesunden Symptome verursacht, die denen der betreffenden Krankheit „ähnlich“ sind, ohne aber die Krankheit selbst auszulösen. Hahnemann formulierte im Organon:<ref>Samuel Hahnemann: „Organon der Heilkunst“, 6. Auflage, Einleitung (''[http://homeoint.org/books4/organon/einleitung.htm Link]'', abgerufen am 18.07.2019)</ref><blockquote>Durch Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung fand ich, daß im Gegentheile von der alten Allöopathie die wahre, richtige, beste Heilung zu finden sei in dem Satze: Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll!</blockquote>
  
Im zuvor zitierten Artikel<ref name="Hufeland"></ref> führte Hahnemann die „Entdeckung“ seines Ähnlichkeitsprinzips ''auch'' auf seine Selbstversuche zurück und er verwendet darin das nachmalige Mantra der Homöopathie: ''Simila similibus curentur'' („Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“), aufgrund der lateinischen Formulierung ein Hinweis auf dessen antike Herkunft.<ref group="B">''Similia similibus curentur'': Strenggenommen schreibt Hahnemann in seinem Artikel ''Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen'' nur:
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Im zuvor zitierten Artikel<ref name="Hufeland"></ref> führte Hahnemann die „Entdeckung“ seines Ähnlichkeitsprinzips ''auch'' auf seine Selbstversuche zurück und er verwendet darin das nachmalige Mantra der Homöopathie: ''Similia similibus curentur'' („Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“), aufgrund der lateinischen Formulierung ein Hinweis auf dessen antike Herkunft.<ref group="B">''Similia similibus curentur'': Strenggenommen schreibt Hahnemann in seinem Artikel ''Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen'' nur:
  
 
<blockquote>Man (…) wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus.</blockquote>
 
<blockquote>Man (…) wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus.</blockquote>

Version vom 25. November 2019, 22:43 Uhr

Der Chinarindenversuch gilt gemeinhin als das Schlüsselereignis bei der Entwicklung der Homöopathie durch Samuel Hahnemann. Dieser war ein deutscher Arzt, der um das Jahr 1800 die Homöopathie erfand und seine Überlegungen in seinem Hauptwerk, dem Organon der Heilkunst, niederschrieb und veröffentlichte. Die Erfindung der Homöopathie ging auf zahlreiche Selbstversuche zurück, wobei sein Chinarindenversuch wohl am bekanntesten sein dürfte. Unter heutigen Homöopathen hat dieser den Rang eines „Gründungsmythos“ für das Ähnlichkeitsprinzip und die Homöopathie als Ganzes, obwohl Hahnemann ihn selbst kaum schriftlich erwähnt hat.

Geschichte

Hahnemanns Motivation

Hahnemann[B 1] studierte ab 1775 u. a. in Leipzig Medizin. Das Studium konnte er aufgrund seines Sprachtalents[1] durch Tätigkeiten als Sprachlehrer und Übersetzer medizinischer Werke selbst finanzieren.[2] Nach verschiedenen im Ergebnis für ihn unbefriedigenden Stationen als Arzt gab er 1784 seine Praxis auf,…

… da es gegen sein Gewissen ging, „unbekannte Krankheiten“ mit „unbekannten Arzneien“ zu behandeln und „Mörder“ seiner Mitmenschen zu sein.[2]

Hahnemann führte um 1790 in Dresden Arzneiversuche an sich und anderen Gesunden durch.[2] Hintergrund dieser Versuche waren Berichte über Arzneien und Therapien anderer Ärzte, die er im Rahmen seiner Tätigkeit als Übersetzer erhielt, so z. B. die des schottischen Arztes und Chemikers William Cullen (1710–1790) zur Chinarinde.[1] Dessen Hypothesen zu deren Wirksamkeitsprinzip überzeugten Hahnemann nicht.[1] Er, schon mit einiger medizinischer Erfahrung ausgestattet, vermutete eine, wie wir heute sagen würden, „systemische“ Wirkung. Diese Vermutung aber blieb, wie vieles in dieser Zeit, aufgrund vergleichsweise geringen physiologischen und pharmakologischen Wissens, unbestätigt.

Hahnemann war aber getrieben von der Hoffnung, Wirksamkeitsprinzipien zu finden, also allgemeinverbindliche Gesetzmäßigkeiten, mittels derer sich neue, wirksame Arzneien entwickeln lassen oder die schon bekannten sinnvoller einsetzen lassen.

Hahnemanns eigene Versuche

Bei seinem Selbstversuch mit Chinarinde stellte Hahnemann nun bei sich selbst Symptome wie etwa „wechselfieberartige Zufälle“ fest, die ihn an die bekannten Krankheitserscheinungen der Malaria erinnerten.[1] Da Chinarindenpulver schon zu Hahnemanns Zeiten als chemisches Therapeutikum zur Behandlung der Malaria zum Einsatz kam, schlussfolgerte er, dass Chinarinde nicht nur wie bekannt in der Lage war, die Symptome der an Malaria Erkrankten zu beseitigen, sondern ebenso bei Gesunden malariaähnliche Symptome auszulösen. 1796 schrieb er im Hufeland-Journal:

Schon im Jahre 1790 (…) machte ich mit der Chinarinde den ersten reinen Versuch an mir selbst in Absicht ihrer Wechselfieber erregenden Wirkung, und mit diesem ersten Versuche ging mir zuerst die Morgenröthe zu der bis zum hellsten Tage sich aufklärenden Heillehre auf: dass Arzneien nur mittels ihrer den gesunden Menschen krankmachenden Kräfte Krankheitszustände und zwar nur solche heilen können, die aus Symptomen zusammengesetzt sind, welche das für sie zu wählende Arzneimittel ähnlich selbst erzeugen kann im gesunden Menschen.[3]

Und weiter (Hervorhebung im Original):

Ich habe in meinen Zusätzen zu Cullen’s Arzneimittellehre schon angemerkt, dass die Fieberrinde in großen Gaben bei empfindlichen, obgleich gesunden Personen einen wahren Fieberanfall errege, der dem eines Wechselfiebers sehr ähnlich sey, und deshalb wahrscheinlich letzteres überstimme und so heile. Jetzt setze ich nach reiflicher Erfahrung hinzu: nicht nur wahrscheinlich, sondern g a n z  g e w i ß.[3]

Ableitung des Ähnlichkeitsprinzips

Das Ähnlichkeitsprinzip besagt also, dass eine Arznei, die eine Krankheit zu heilen imstande ist, beim Gesunden Symptome verursacht, die denen der betreffenden Krankheit „ähnlich“ sind, ohne aber die Krankheit selbst auszulösen. Hahnemann formulierte im Organon:[4]

Durch Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung fand ich, daß im Gegentheile von der alten Allöopathie die wahre, richtige, beste Heilung zu finden sei in dem Satze: Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll!

Im zuvor zitierten Artikel[3] führte Hahnemann die „Entdeckung“ seines Ähnlichkeitsprinzips auch auf seine Selbstversuche zurück und er verwendet darin das nachmalige Mantra der Homöopathie: Similia similibus curentur („Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“), aufgrund der lateinischen Formulierung ein Hinweis auf dessen antike Herkunft.[B 2] Offenbar überzeugt von dessen universeller Gültigkeit, erwähnte er seinen Chinarindenversuch jedoch trotzdem nur wenige Male. Im Organon, seinem Hauptwerk, findet er sich nicht.

Hahnemanns Schlussfolgerung basierte auf der schon seit der griechischen Antike[5][6] existierenden Idee der „Ähnlichkeitsregel“ (bei Hahnemann Simile-Prinzip), mit der die Wirksamkeit von Arzneistoffen erklärt werden sollte. Es handelt sich also keineswegs um eine innovative Erkenntnis Hahnemanns.

Wie der Berliner Rechtsmediziner Prof. Dr. med. Otto Prokop in den 1950er Jahren in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Homöopathie aufzeigte,[7] reicht die Liste derjenigen, die mit der Ähnlichkeitsregel die menschliche Lebenskraft beeinflussen wollten, vom ausgehenden Mittelalter, von den Renaissance-Okkultisten Paracelsus (1493–1541) und Agrippa von Nettesheim (1456–1535) zurück bis zu Hippokrates (460–370 v. u. Z.)[8][9] im antiken Griechenland.

Vorstellungen wie Gleiches durch Gleiches, Ähnliches durch Ähnliches und Gegensätzliches durch Gegensätzliches waren als vermeintliche Gesetzmäßigkeiten fest verhaftetes „Allgemeinwissen“ im Volks- und Aberglauben der voraufklärerischen Zeit. Freilich ohne dass jemals ein tragfähiger Beleg für diese Ideen vorgelegen hätte. Gleichwohl wurden sie auf viele Lebensbereiche angewendet – letztlich auch auf die Heilkunst,[10] die in vorwissenschaftlicher Epoche ohnehin nicht auf dem heute verfügbaren medizinischen, physiologischen und pharmazeutischen Faktenwissen beruhen konnte.[11]

Man kann davon ausgehen, dass Hahnemann als gebildeter Mensch alle diese Vorstellungen kannte. Dass er gerade die Ähnlichkeitsregel zur ausschließlichen Grundlage seiner Lehre machte, ist gewiss auch auf den Chinarindenversuch zurückzuführen, dessen Ergebnis ihm einen vermeintlich eindeutigen Beleg für deren Gültigkeit lieferte.

Auf der langen Suche nach einer theoretischen Fundierung seiner Beobachtungen und des von ihm als wahr angenommenen Ähnlichkeitsprinzips gelangte Hahnemann schließlich zum Konzept der „Lebenskraft“. Möglicherweise auch beeinflusst[12] durch die Arbeiten seines Zeitgenossen Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836),[13] in dessen Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst er auch selbst publizierte.

Da er vermutlich wusste, dass seine zur Vermeidung von „Vergiftungen“ verdünnten Arzneien keine nennenswerten Wirksubstanzen mehr enthielten, postulierte er deren durch „Potenzierung“ erzielte „geistartige“ Beeinflussung der ebenfalls immateriellen Lebenskraft, deren „Verstimmung“ die eigentliche Ursache aller Krankheiten sei.

Es seien die „ähnlichen“ Mittel, die diese Verstimmung zu korrigieren vermögen, und so verbindet das Postulat einer „Lebenskraft“ die homöopathischen Konzepte der „Ähnlichkeit“ und der „Potenzierung“. Alle diese Konzepte sind durch die Wissenschaft seit langem überholt, was die Vertreter der Homöopathie indes nicht an deren Aufrechterhaltung hindert.

Kritik

Die pharmakologische Wirkung von Chinin

Die Malaria (auch Sumpffieber oder Wechselfieber, von ital. mal'aria, schlechte Luft) ist eine Infektionskrankheit, die bis weit ins 20. Jahrhundert auch in Europa verbreitet war.[14] Die Symptome sind neben Kopf- und Gliederschmerzen und Beschwerden des Verdauungstrakts vor allem hohes, periodisch schwankendes Fieber und Schüttelfrost. Die Krankheit kann tödlich verlaufen. In Verdachtsfällen wird eine sofortige Labordiagnostik empfohlen.[15]

Vor der Entwicklung synthetischer Medikamente war Chinarinde das einzige bekannte Gegenmittel, also die Rinde von Bäumen der Gattung Cinchona (Chinarindenbaum). Diese sind in Südamerika beheimatet und wurden im Zuge der Kolonisierung des Kontinents „entdeckt“. Inzwischen sind sie weltweit verbreitet. Der Name bezieht sich nicht auf das Land China, sondern wird auf eine indianische Sprache zurückgeführt.[16]

Der eigentliche Wirkstoff, das Alkaloid Chinin, wurde bereits zu Lebzeiten Hahnemanns im Jahre 1820 in Frankreich isoliert.[17] 1880 wurde der Erreger entdeckt. Malaria wird durch einzellige parasitäre Keime (Plasmodien) erst in infiziertem Gewebe, dann im Blut des Wirts ausgelöst.[18]

Später gelang auch der Nachweis des genauen Wirkmechanismus. Chinin wirkt als Zellgift. In der Zelle hemmt es enzymatische Prozesse, was die Zellatmung vermindert. Dies hat systemisch eine Temperatursenkung beim Menschen zur Folge, beim viel kleineren Plasmodium allerdings, entsprechend der Dosis-Wirkungs-Beziehung, eine tödliche Stoffwechselblockade.[19]

Zur Hauptwirkung (Fiebersenkung) treten Nebenwirkungen. Chinin wirkt u.a. schmerzstillend, entkrampfend und betäubend.[20] In der Literatur wird zudem ein „Chininrausch“ als Folge von Überdosierungen beschrieben mit Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerz, Benommensein, Ohrensausen, Hör- und Sehstörungen.[21] Eine andere Quelle erwähnt neben Erbrechen zusätzlich Pulsverlangsamung und Blutdruckabfall bis zur Bewusstlosigkeit.[22]

Der Begriff des „Fiebers“ zu Hahnemanns Zeit

Heute noch bekannte alte Krankheitsnamen wie „Gelbfieber“, „Sumpffieber“ oder „Kindbettfieber“ deuten darauf hin, dass der Begriff Fieber nicht zu allen Zeiten wie heute allein für eine erhöhte Körpertemperatur stand, sondern für eine Summe verschiedener Krankheitssymptome.[23][24] Hahnemann verwendet den Begriff etwa im Organon in vielen verschiedenen Kontexten, z. B. „Seitenstich-Fieber“, „typhöses Fieber“, „hitziges Fieber“, „Entzündungs-Fieber“ usw.

Erst Jahrzehnte nach Hahnemanns Selbstversuchen gelang dem deutschen Internisten Carl Reinhold August Wunderlich (1815–1877) die Erkenntnis, dass Fieber (im strengeren Sinne als Ausdruck der Körpertemperatur) keine Krankheit, sondern Symptom einer solchen sei.[25] Wunderlich hatte sich 1840 in Tübingen habilitiert und wurde 1850 Leiter der Universitätsklinik in Leipzig. Die Einführung des Fieberthermometers in die Medizin wird auf sein dortiges Wirken zurückgeführt. Die Universität schreibt in seiner Biographie:

Wunderlich konzentrierte sich auf die Einführung von exakten Methoden zur Bewertung therapeutischer Effekte. Er führte den klinischen Unterricht ein: physiologisch orientiert, diagnostisch methodisch streng und jederzeit überprüfbar. 1859 ließ er Fieberkurven der Kranken anlegen und führte eine exakte empirische Befunddokumentation ein. Er war (…) Mitbegründer der physiologischen Medizin und der Konstitutionstherapie und gehörte zu den Begründern einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin.[26]

Ein anderer Biograph schreibt schon 1898 (Hervorhebungen: Homöopedia):

Wunderlich's Verdienste um die Entwicklung der modernen Heilkunde sind groß. Gemeinsam mit seinen Freunden Griesinger und Roser hat er als Vorkämpfer der „physiologischen Medicin“ in dem von ihm begründeten „Archiv der physiologischen Heilkunde“ (1842–1859) und durch sein großes und reichhaltiges „Handbuch der Pathologie und Therapie“ (1850–1852) bahnbrechend für die exacte, physiologische Richtung der medicinischen Forschung gegenüber den damals herrschenden unklaren, unkritischen und unwissenschaftlichen ontologischen Anschauungen gewirkt und ihr zum Siege verholfen.[27]

Und weiter:

Namentlich war er es, der durch seine Arbeiten über klinische Thermometrie, sein Werk „Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten“ (1870), den Thermometer am Krankenbett und damit eine genaue Controlle der Fieberwärme erst einbürgerte.[27]

Es kann daher nicht angenommen werden, dass Hahnemann bei der Feststellung von „Fieber“ als ein durch die Einnahme eines Chinin-Präparates verursachtes Symptom allein die Erhöhung der Körpertemperatur gemeint haben kann. Eher muss man davon ausgehen, dass er eine zu seiner Zeit übliche Zusammenfassung von Symptomen verstand, die vom subjektiven Gefühl des Gesundseins abweichen, darunter natürlich auch ein „fiebriges Gefühl“ und ein erhöhter Puls.

Zweifel an Hahnemanns Fieber

Hahnemann meinte bei seinem unter Homöopathen legendären Selbstversuch festzustellen, dass die mehrfache Einnahme von Chinarinde bei ihm – anstatt der erwarteten Temperatursenkung – einen Anstieg der Körpertemperatur zur Folge hatte. Folgt man den erhaltenen Versuchsprotokollen,[B 3] entwickelte er damit ein Symptombild, das ihn, wahrscheinlich provoziert durch seine Einnahmezyklen des Chinins in Verbindung mit dessen Dosierung, an den Krankheitsverlauf erinnerten, der für das Wechselfieber der Malaria bekannt war, aber ohne dass er tatsächlich an Malaria erkrankte. Dieser Effekt – der Temperaturanstieg statt der von Chinin normalerweise verursachten Temperatursenkung – ist für die Idee des Simile-Prinzips unerlässlich: Nur durch ihn lassen sich Hahnemanns Schlussfolgerungen begründen. Allerdings diagnostizierte er dieses „Fieber“ mangels Messgerät und physiologischen Wissens nicht durch eine Temperaturmessung, sondern durch die Interpretation einer anderen physiologischen Erscheinung, die mit Fieber oft einhergeht – nämlich durch einen erhöhten Puls.

Eine geeignete Menge an Chinin im menschlichen Organismus löst indes ebenfalls eine erhöhte Herztätigkeit aus.[20] Als Folgeerscheinung der höherdosierten Einnahme des Chinins kann sich ein Symptombild entwickeln, das auf die Oxidation des Hämoglobins durch Chinin zurückzuführen ist. Dabei entsteht aus dem zum Sauerstofftransport fähigen Hämoglobin (einem Bestandteil der roten Blutkörperchen) das nicht zum Sauerstofftransport fähige Methämoglobin. Durch dessen Anstieg im Blut, der sogenannten Methämoglobinämie, kommt es zu einer Zyanose (Sauerstoffmangel), die unter anderem mit Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen und eben der erhöhten Herzfrequenz einhergeht. Wäre also mit Hahnemanns „Fieber“ lediglich ein erhöhter Puls gemeint, wäre dieser Effekt im Gegensatz zu einer Temperaturerhöhung des Körpers in Versuchen nicht nur reproduzierbar, sondern auch biochemisch erklärbar.

Alternative Erklärungen

Mit geringerer Häufigkeit als erhöhtem Puls kann Chinin eine allergische Reaktion hervorrufen. Entsprechend kann Hahnemanns „Fieber“ auch das Ergebnis eines anaphylaktischen (allergischen) Geschehens gewesen sein.[28]

Eine dritte Erklärung neben Irrtum bezüglich des Fiebers und einer allergischen Reaktion wäre, dass Hahnemann während seines Selbstversuchs an einer anderen Erkrankung litt, beispielsweise an einem häufig vorkommenden grippalen Infekt. Auch bei diesem stellen sich Symptome ein wie sie Hahnemann der Chinarinde zuschrieb.

Zuletzt kann durch Überdosierung ein „Chininrausch“ eingetreten sein, dessen Symptome den von Hahnemann an sich selbst beobachteten ebenfalls ähneln.

Nach heutigem medizinischen Wissen können wir für die von Hahnemann beschriebenen physiologischen Reaktionen also mehrere Ursachen annehmen, die seine Symptome allesamt ohne das Simile-Prinzip erklären. Also ohne Rückgriff auf eine komplizierte, auf damaligem Unwissen beruhende Hypothese. Möglicherweise hatte Hahnemann die Chinarinde überdosiert und sich mit Chinin quasi vergiftet, möglicherweise handelte es sich um heute bekannte Arzneimittelnebenwirkungen, möglicherweise reagierte Hahnemann auf Bestandteile der Pflanzendroge allergisch, möglicherweise – auch das ist denkbar – hatten die vermeintlichen Reaktion auf die Chinarinde eine gänzlich andere Ursache, beispielweise eine parallel ablaufende Erkältung.

Mangelnde Reproduzierbarkeit

Eine Untersuchung der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM) kommt 2007 zu einem positiven Ergebnis der Verifikationen des Chinarindenversuchs:

Die Ergebnisse der Arzneimittelprüfungen und Selbstversuche mit Chinarinde stellen für die individuelle Therapieform der Homöopathie ein beeindruckend positives Ergebnis dar.[29]

Als „beeindruckend positiv“ wird das in der Quelle beschriebene Ergebnis bezeichnet, dass „durchschnittlich 15 % der Symptome des Chinarindenversuches bestätigt“ werden konnten (Hervorhebung: Homöopedia). Welche und wie viele Symptome gefunden wurden, die nicht den Hahnemann'schen Ergebnissen entsprechen, gibt die Quelle nicht an.

Dem zitierten Fazit ist ferner entgegenzuhalten, dass Tests sowohl pharmakologisch wirksamer als auch „potenzierter“ Dosen darin eingegangen sind. Deswegen muss unklar bleiben, ob damit das Ähnlichkeitsprinzip oder das der Wirksamkeit „potenzierter“ Arzneien belegt werden soll oder kann.

Ferner flossen ausschließlich Selbstversuche und Homöopathische Arzneimittelprüfungen in dieses Fazit ein, also Experimente mit geringer Teilnehmerzahl. Diese wurden meist ohne Kontrollgruppe und ohne Verblindung durchgeführt. Die Probanden wussten also, welche Substanz sie testen, und im Falle der Chinarinde eben auch, um was und um wen es dabei geht. Das Fehlen einer Kontrollgruppe verhindert den Ausschluss anderer Einflussfaktoren. Deswegen beruhen die Ergebnisse ausschließlich auf subjektiver, nicht hinterfragter Selbstbeobachtung der Probanden und sind entsprechend wenig aussagekräftig.

Selbst unter diesen für das gewünschte Ergebnis äußerst günstigen Umständen konnten die untersuchten Versuche jeweils nur eine geringe Zahl aus der Liste der Symptome bestätigen, die die Homöopathie der Einnahme von Chinin durch Gesunde zuschreibt.

Die homöopathische Ärztin Dr. Birgit Lochbrunner legt in einer von der Carstens-Stiftung geförderten Dissertation,[30] auf die sich die Publikation der ÖGHM ausdrücklich stützt, ganz im Gegensatz dazu dar, dass der zur Erklärung des Simile-Prinzips „untaugliche“ Chinarinden-Versuch fortan nicht mehr als Schlüsselexperiment der Homöopathie angesehen werden dürfe, sondern als „fruchtbarer Irrtum“,[28] weil das Simile-Prinzip ansonsten funktioniere – allerdings ohne wissenschaftliche (außerhomöopathische) Evidenz für diese Aussage anführen zu können. Sie schreibt:

In der Pharmakologie/Toxikologie sowie durch Versuche mit Chinarinde und Chinin konnten Hahnemanns Symptome aus 1790 nicht eindeutig bestätigt werden. In der hier vorgestellten Rezeptionsgeschichte hat er eine untergeordnete Rolle.

Sie fährt fort, nicht ohne unfreiwillige Ironie: „Er [Hahnemanns Chinarindenversuch] entspricht auch nicht den Kriterien einer homöopathischen Arzneimittelprüfung.“ (Anmerkung und Hervorhebung: Homöopedia).

Wissenschaftlich belastbaren Studien gelang es bisher ebenfalls nicht, Hahnemanns Selbstversuch zu reproduzieren, d. h. bei Gesunden das Auslösen bestimmter Symptome, die bei Kranken durch die Einnahme derselben Substanz gelindert oder geheilt werden.[31] Schon zu Hahnemanns Lebzeiten war dies nicht gelungen.[B 4]

Schlussfolgerungen für die Homöopathie

Es spricht nach heutigem Wissenstand der Pathologie wenig dafür, dass Hahnemann tatsächlich Fieber im heutigen Sinn des Begriffs hatte, dafür viel, dass er seine im Rahmen seines Versuchs verzeichneten körperlichen Reaktionen – in Unkenntnis der biochemischen und physiologischen Zusammenhänge – einfach falsch interpretierte. Es ist auch nicht belegt, dass die von ihm an sich selbst beobachteten Symptome überhaupt von der Einnahme des Präparats verursacht wurden, d. h. dass er keinem Fehlschluss des Typs „danach, nicht deswegen“ erlag. Dies ist ein systematisches Problem bei Selbstversuchen und Studien mit kleinen Probandenzahlen, wie sie bei homöopathischen Arzneimittelprüfungen üblich sind.

Dieses Problem ist auch Homöopathen bekannt,[11] die mehrheitlich aber Fakten und Logik zugunsten ihres gelernten „Wissens“ und ihrer eigenen Erfahrungen verdrängen. So schreibt der Homöopath Georg Bayr:

Der Chinarindenversuch basiert auf Intuition. Er war zufällig. Es war ein zeitbedingter Irrtum. Der Irrtum war fruchtbar, da die Homöopathie daraus entstand.[28]

Das homöopathische Simile-Prinzip stützt sich indes wesentlich auf die Gültigkeit des Chinarindenversuchs und die homöopathischen Arzneimittelbilder und damit die gesamte Verordnungspraxis wiederum auf das Ähnlichkeitsprinzip. Dieses konnte in der wissenschaftlichen Medizin bisher jedoch nicht nachvollzogen oder bestätigt werden[32] und in der evidenzbasierten Medizin gibt es bisher keine pharmakologisch wirksamen Medikamente auf dessen Basis.[33] Edzard Ernst fasst dies in einem Satz zusammen: „Man kann nicht ausschließen, dass in sehr speziellen Situationen Ähnliches mit Ähnlichem geheilt werden kann. Aber es ist kein Gesetz, das auf alle Substanzen in allen Situationen Anwendung findet.“[34][B 5] Prinzip und Praxis und damit die Stützpfeiler der Homöopathie können folglich als falsch und mithin der Anamneseritus zur Identifikation des einen Leitsymptoms, das sodann durch eine Arznei behandelt wird, als fragwürdig angesehen werden.

Die Diskussion des Chinarindenversuchs führt also auf direktem Weg zur Infragestellung der wichtigsten Wesenselemente der Homöopathie, darunter die Methode der Ermittlung, welche homöopathische Arznei in welcher Verdünnung gegen welches Symptom einzusetzen sei. Der Schöpfer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, dem neben der Verteidigung seiner Methode durchaus auch das Wohl seiner Patienten am Herzen lag, warnte im Organon (6. Auflage, § 276) sogar selbst vor falschen Verschreibungen:

Aus diesem Grunde schadet eine Arznei, wenn sie dem Krankheitsfalle auch homöopathisch angemessen war, in jeder allzu großen Gabe und in starken Dosen um so mehr, je homöopathischer und in je höherer Potenz sie gewählt war, und zwar weit mehr als jede eben so große Gabe einer unhomöopathischen, für den Krankheitszustand in keiner Beziehung passenden (allöopathischen) Arznei. Allzu große Gaben einer treffend homöopathisch gewählten Arznei und vorzüglich eine öftere Wiederholung derselben, richten in der Regel großes Unglück an. Sie setzen nicht selten den Kranken in Lebensgefahr, oder machen doch seine Krankheit fast unheilbar. Sie löschen freilich die natürliche Krankheit für das Gefühl des Lebensprincips aus, der Kranke leidet nicht mehr an der ursprünglichen Krankheit von dem Augenblicke an, wo die allzu starke Gabe der homöopathischen Arznei auf ihn wirkt, aber er ist alsdann stärker krank von der ganz ähnlichen, nur weit heftigern Arznei-Krankheit, welche höchst schwierig wieder zu tilgen ist.



Quellen- und Literaturangaben
  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Gustav Puhlmann: „Samuel Hahnemann“, Allgemeine Deutsche Biographie (1879), Onlineversion (PDF ab Seite 4, aufgerufen am 25.09.2017)
  2. 2,0 2,1 2,2 Rudolf Tischner: „Samuel Hahnemann“, Neue Deutsche Biographie (1966), Onlineversion (PDF ab Seite 1, aufgerufen am 25.09.2017)
  3. 3,0 3,1 3,2 Samuel Hahnemann: „Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen“, In: Hufelands Journal zur praktischen Wundheilkunst. 2. Band, 4. Stück. 1796, S. 465. (Link, aufgerufen am 25. November 2019)
  4. Samuel Hahnemann: „Organon der Heilkunst“, 6. Auflage, Einleitung (Link, abgerufen am 18.07.2019)
  5. „Alternativmedizin: Die Geschichte der Homöopathie“, ARD Alpha (Link, aufgerufen am 24.09.2017)
  6. Robert Jütte: „Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute“, C.H. Beck, München 1996, S. 180, ISBN: 3-406-40495-2
  7. Otto Prokop, Ludwig Prokop: „Homöopathie und Wissenschaft“, Enke, Stuttgart 1957
  8. N.N.: „Geschichte und Grundprinzipien der klassischen Homöopathie“, Webseite der Firma Hevert Arzneimittel (Link, aufgerufen am 15.07.2019)
  9. Andreas Schmidt (Hrsg.): „Grundkurs in Klassischer Homöopathie für Tierärzte“, Sonntag, 3. Auflage 2003, S. 22, ISBN: 978-3830490296
  10. Josef M. Schmidt: „Taschenatlas Homöopathie in Wort und Bild Grundlagen, Methodik und Geschichte“, Open Access Website der Ludwig-Maximilians-Universität München (PDF, aufgerufen am 18.07.2019)
  11. 11,0 11,1 Natalie Grams: „Homöopathie neu gedacht“, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2015, S. 19: In welcher Zeit entstand die Homöopathie?, ISBN: 978-3-662-45336-0, doi:10.1007/978-3-662-45337-7
  12. Giovanni Maio: „Mittelpunkt Mensch: Lehrbuch der Ethik in der Medizin“, Schattauer 2012, S. 108, ISBN: 978-3-7945-2448-8
  13. Christoph Wilhelm von Hufeland: „Ideen über Pathogenie und Einfluss der Lebenskraft auf Entstehung und Form der Krankheiten“, Webpräsenz der Bayerischen Staatsbibliothek (Link, aufgerufen am 14.07.2019)
  14. Walther H.Wernsdorfer: „Malaria in Mitteleuropa“, Webpräsenz des Biologiezentrums Linz (Österreich) (PDF, aufgerufen am 14.07.2019)
  15. „Ratgeber Malaria“, Website des Robert-Koch-Instituts (Link, aufgerufen am 03.10.2017)
  16. Eintrag „Chinarindenbaum“ im Lexikon der Biologie bei spektrum.de (Link, aufgerufen am 03.10.2017)
  17. Pellentier und Caventou: „Analyse chimique de quinquina“, Gallica – die Webpräsenz der Bibliothèque nationale de France (BnF) (Link, aufgerufen am 15.07.2019)
  18. J. B. Baillière: „Nature parasitaire des accidents de l’impaludisme. Description d’un nouveau parasite trouvé dans le sang des malades atteints de fièvre palustre“, Paris 1881.
  19. Worlfgang Hopff: „Homöopathie kritisch betrachtet“, Thieme, Stuttgart 1991
  20. 20,0 20,1 Christina Selch et al.: „Chinin“, DocCheck Flexikon (Link, aufgerufen am 10.09.2017)
  21. H. von Tappeiner: „Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverordnungslehre“, Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig 1922. Seit 2013 auch beim Springer-Verlag, S. 349f., ISBN: 978-3-642-98990-2 (Fundstelle bei Google Books, aufgerufen am 08.10.2017)
  22. Rolf Giebelmann: „Kulturgeschichtliches zum Chinin“, Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinikum Jena (PDF, aufgerufen am 08.10.2017)
  23. Friedrich Dellmour: „Samuel Hahnemann“, Website des Autors (PDF, aufgerufen am 16.07.2019)
  24. Christoph Wilhelm Hufeland: „Enchiridion medicum oder Anleitung zur medizinischen Praxis. Vermächtnißs einer funfzigjährigen Erfahrung, 4. Auflage“, Jonas Verlagsbuchhandlung, Berlin 1838
  25. Lexikon der Biologie bei spektrum.de (Link, aufgerufen am 01.10.2017)
  26. Kurzbiographie von Carl Reinhold August Wunderlich (Link zum Webarchiv, aufgerufen am 01. September 2019)
  27. 27,0 27,1 G. Krug: „Wunderlich, Karl Reinhold August“, Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), S. 313-314 [Online-Version] (Link, aufgerufen am 01.10.2017)
  28. 28,0 28,1 28,2 Georg Bayr: „Hahnemanns Selbstversuch mit der Chinarinde 1790. Die Konzipierung der Homöopathie“, Haug, Heidelberg 1989, ISBN: 3-8304-0210-4
  29. Friedrich Dellmour: „Die Ähnlichkeitsprinzipien, Teil 2: Der Chinarindenversuch“, in: Homöopathie in Österreich Heft 2/2007 (PDF, aufgerufen am 27.09.2017)
  30. Birgit Lochbrunner: „Der Chinarindenversuch: Schlüsselexperiment für die Homöopathie?“, KVC-Verlag, 2007, ISBN: 978-393-335177-7
  31. Hans-Joachim Krämer, Ernst Habermann: „Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie“ in: Deutsches Ärzteblatt, Band 94, Nr.26. Deutscher Ärzte-Verlag, 27. Juni 1997, S. A-1811/ B-1556/ C-1442 (Link, aufgerufen am 10.09.2017)
  32. Krista Federspiel, Vera Herbst: „Die andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden“, Stiftung Warentest, 2006, ISBN: 3-937880-35-6.
  33. Rainer Wolf: „Homöopathie“, Webarchiv: Webseite der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart (PDF, aufgerufen am 15.07.2019)
  34. Edzard Ernst: „Homeopathy - The Undiluted Facts“, Springer International Publishing Switzerland 2016, S. 10, ISBN: 978-3-319-43590-9, doi:10.1007/978-3-319-43592-3_2


Anmerkungen und Originalzitate
  1. Dieser Artikel stützt sich u. a. auf die Hahnemann-Biographien von Rudolf Tischner (1966) und Gustav Puhlmann (1879), die als Teil zweier Sammlungen, der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB, 56 Bände, 1875–1912) und der Neuen Deutschen Biographie (seit 1953) von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben werden (Link). Beide Biographien sind gemeinsam in einem PDF-Dokument enthalten, auf das hier verlinkt wird.
  2. Similia similibus curentur: Strenggenommen schreibt Hahnemann in seinem Artikel Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen nur:

    Man (…) wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus.

    In der ursprünglichen Form wurde die Ähnlichkeitsregel deshalb als Similia similibus curantur („Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“) zitiert. Zur Umformulierung in die heute weiter verbreitete Form Similia similibus curentur („Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden“) heißt es in der Weltgeschichte der Homöopathie. Länder - Schulen – Heilkundige. Herausgegeben von Martin Dinges. C.H.Beck 1996, S.280 (Kapitel „USA“):

    Manche dieser Debatten waren so heftig, dass eine konservative Gruppierung, die sich als „Hahnemannianer“ bezeichnete, das American Institute of Homoeopathy sich auf nationaler Ebene neu organisierte und eigene Fachzeitschriften und Institute aufbaute. Die therapeutisch liberalere Mehrheit verblieb dagegen im American Institute of Homoeopathy. Die Hahnemannianer wurden immer intoleranter und vertraten die These, nur bestimmte Praktiken seien wahre oder „reine“ Homöopathie, während die Mehrheit die homöopathischen Prinzipien nur verwässere. 1883 erklärte der Präsident des American Institute of Homoeopathy etwa, Hochpotenzen seien kein Universalgesetz, und 1899 wurde die Ähnlichkeitsregel von „similia similibus curantur“ in „curentur“ abgewandelt, d.h. von „Ähnliches wird von Ähnlichem geheilt“ in „Ähnliches möge Ähnliches heilen“.

  3. In Hahnemanns eigenen Worten:

    Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmal vier Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing das Herz an mir zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann Klopfen im Kopfe, Röth der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptome erschienen nacheinander, ... dieser Paroxysmus dauerte zwei bis drei Stunden jedesmal, und erneuerte sich, wenn ich die Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf, und ich ward gesund.

    Zitiert nach Friederike Julia Rieger: „Homöopathie: Kritische Analyse kontroverser Argumente unter Berücksichtigung der Studienlage bis 2003“, Dissertation zur Erlangung des doctor medicinae der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 2008 (Link, aufgerufen am 15.09.2019). „Vier Quentchen“ sind 12 g. Paroxysmus bedeutet Anfall
  4. Der Arzt Johann Christian Jörg ließ 1821 vier Medizinstudenten eine nach der Beschreibung Hahnemanns gewonnene Tinktur aus Chinarinde trinken. Bei keinem der Probanden traten die von Hahnemann beobachteten Symptome auf. Nach: Friedrich Alexander Simon: „Samuel Hahnemann, Pseudomessias medicus, der Verdünner oder kritische Ab- und Ausschwemmung des medicinischen Augiasstalles, Organon der Heilkunst genannt, für Ärzte und gebildete Nichtärzte“. Hamburg 1830, S. 104ff.
  5. Originalzitat: „Like might cure like in very special situations, but it is not a law that is applicable to all substances and all situations.“